Wohnen und arbeiten im kosmischen Glück
von Elisabeth Hastrup-Kiil
Veröffentlicht in Yoga Aktuell 6 / 2020
Vastu Vidya als gesellschaftliches Tool: Wie die alte Wissenschaft hilft, Harmonie und Naturverbundenheit zu schaffen und mit Leichtigkeit aus den gegebenen Potenzialen zu schöpfen.
Mir wurde erzählt, dass einige Yogis ihr durch Introspektion erlangtes transzendentes Wissen an den Gipfeln des Himalayas in Form hochfrequenter Energiekörper deponieren – eine Art Daten-Cloud mit Datenschutz in den Wolken auf 7000 Metern Höhe!
Ebenso stellen Tempel, die nach den Vorschriften der Vastu Shastras gebaut sind, Körper feinenergetischer Schwingungen dar, welche die Chakras der Tempelbesucher aktivieren und balancieren. So ist es im Raum des Tempels möglich, erweiterte Bewusstseinszustände zu erleben und sich mit kosmischer Kraft und Intelligenz zu verbinden.
Der Anfang
Seit ich vor 15 Jahren auf Vastu aufmerksam wurde, hat mich dieses Wissen kontinuierlich fasziniert und beflügelt. Es ist nicht das erste System zur Inneneinrichtung, dem ich begegnet bin. Über Jahrzehnte hatte ich mich schon zuvor, gemeinsam mit meinem Mann – wir sind beide mit Venus im Stier geboren – mit Design, Bau, Umbau und schönen Ambienten beschäftigt. Wir haben nicht nur ständig unsere eigenen Yogazentren renoviert und eingerichtet, sondern auch damit im Ausland gearbeitet.
Umsetzung und Achsen
2007 erwarben wir ein Anwesen, das unser Kurszentrum Harbergen werden sollte und buchten aus diesem Anlass eine Vastu-Beratung. Die Analyse und der daraus entstandenen Maßnahmenkatalog schienen gut umsetzbar und nachvollziehbar und entsprachen in vielen Bereichen unseren eigenen unmittelbaren Vorstellungen für das anstehende Projekt. Zunächst haben wir den östlichen Teil des Haupthauses kernrenoviert und dort einen Yogaraum im Nordosten sowie einen Gruppenraum mit Kamin im Südosten eingerichtet, beide mit großen Fensterflächen. Diese Räume werden von unseren Gästen immer gelobt, jeder fühlt sich hier wohl und gut aufgehoben. Der Yogaraum im Nordosten bleibt im Sommer angenehm kühl und ist zudem sehr geeignet für die Meditation.
Ich habe mich damals für ein Büro im südwestlichen Teil des Hauses entschieden, da dieser Bereich laut Vastu für ein Büro, meistens für den Senior-Chef, verwendet werden kann. Die Festigkeit und die Fähigkeit, Masse anzuziehen, die für diese Himmelsrichtung sehr ausgeprägt sind, wurden mir jedoch zu viel. Mein Schreibtisch war groß – und immer voll von Papierbergen. Hatte ich ein Schreiben bearbeitet, waren schon zwei neue auf dem Tisch. Mein Rechner brauchte Unmengen von Zeit, um überhaupt in Gange zu kommen. Eines habe ich aber bemerkt: Ich hatte die Empfindung, dass diese Zufuhr von Arbeit, die mich fast ertrinken ließ, irgendwie in einem energetischen Strom diagonal durch das Gebäude aus dem Nordosten kam.
Ich entschloss mich dann, mein Büro in einen Raum im Osten des Hauses zu verlagern, und das war für mich eine gute Wahl. Neuer Laptop, neuer Arbeitsplatz, keine Aktenberge, und in kurzer Zeit war eine Yoga-Zeitschrift mit drei Ausgaben geschrieben, gestaltet und veröffentlicht.
Diese konkrete Wahrnehmung der Nordost-Südwest-Achse, des feinenergetischen Rückgrats eines Gebäudes, bewegte mich dazu, das Studium zu Vastu-Beraterin und -Planerin an der Veden-Akademie zu belegen. Nicht nur die Theorie war mir wichtig, das intuitive Spüren der Raumenergie und ihrer Wechselwirkung mit den Menschen, die in den Räumen wohnen und arbeiten, wurde allmählich stärker und bedeutsamer. Ich lernte diese Affinität als eine Gabe zu schätzen.
Entspanntes Homeoffice – auf die Himmelsrichtungen achten
Wichtig ist es vor allem, sich richtig zu positionieren. Die Blickrichtungen Osten oder Norden sind in Räumen zu empfehlen, die parallel zu den Himmelsrichtungen errichtet sind (Wände stehen Nord-Süd und Ost-West). In Gebäuden in Diagonallage sollte man am Arbeitsplatz dagegen so sitzen, dass man in Richtung Nordosten schaut.
Der Südwesten ist wie erwähnt der Ort der Schwere und Gewichtigkeit. Dieser Bereich eines Raumes ist mit dem Erdelement verbunden und ist der Platz für Aufbewahrungsmöbel und schwere Gegenstände. Diese Himmelsrichtung kann man kaum überladen.
Eine Klientin brauchte eine Beratung für ihre Praxis. Ich habe ihr empfohlen, Ordner und Kisten, die im nordöstlichen Therapieraum ihren Platz hatten, in dem bereits recht vollen Büro im Südwesten zu verstauen. Mit erstaunen musste sie feststellen, dass ihre Mitarbeiter nach dieser Aktion das Büro als sehr ordentlich und aufgeräumt empfanden.
Auch Dinge mit anderen Formen von Gewicht, wie Ausbildungsnachweise und Bilder von Vorfahren und spirituellen Lehren können mit Vorteil im Südwesten angebracht werden. Müll und Abfall schaden den Südwesten nicht. Die einzige Gefahr ist, dass sich Dinge im Südwesten gerne anhäufen. In unserer Küche steht in der südwestlichen Ecke eine kleine Kommode, auf der sich ständig Dinge ansammeln: Brot, Brillen, Gartenhandschuhe, Schlüsseln, Kugelschreiber, Werkzeug, Notizen…
In den Nordwesten eines Büros gehören die Kinderecke, der Platz für Gäste und / oder die Ablage für alles Aktuelle, was noch nicht abgeschlossen ist. Diese Himmelsrichtung ist mit dem Luftelement verbunden und fördert die Kommunikation und den Austausch. Gegenüber dem Nordwesten finden wir den Südosten, beherrscht vom Feuerelement und dem Planeten Venus und somit affin zu Elektrizität, Elektronik, Risikobereitschaft und Gemütlichkeit. Der Südosten bietet einen guten Platz für beispielsweise den Drucker, die Kaffeemaschine, die Lounge-Ecke und die Minibar.
Der Nordosten stellt das Eingangstor für den vereinten feinenergetischen Fluss von Norden (Jiva) und Osten (Prana) dar und wird leider oft wegen der fehlenden Sonneneinstrahlung unterbewertet und unvorteilhaft eingerichtet. Diese Himmelsrichtung steht mit den Elementen Wasser und Ether in Verbindung und verkörpert das Fenster zur Zukunft und zu den latenten Möglichkeiten, welche jede Situation in sich trägt. Wenn der Nordosten frei, leicht, hell und offen eingerichtet wird, dann fällt ein intelligentes, spirituelles und ethisches Management der Arbeits- und Lebenssituation leicht. Eine Trinkwasserstation im Nordosten erhöht dieses Potential.
Wohlstand, Krise und Zukunft
In einem Satz kann etwas vereinfacht gesagt werden: Im Norden treten Geld und Gesundheit ein, im Süden treten sie aus. Dies hat auch einen gesellschaftlichen Kontext: Mit dem Erlangen des Wohlstandes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert haben sich Geschmack und Baukultur verändert. Modern wurde der offene Süden mit großen Fensterflächen und Terrasse bzw. Balkon. Zur selben Zeit sind der Konsum und der Trend „Jetzt kaufen, später zahlen“ gewachsen. Vastu-Vidya soll jedoch nicht als bloße Gesellschaftskritik verstanden werden, sondern als eine zukunftsweisende Werkzeugkiste zum bedachten Energie- und Ressourcenmanagement.
In einem nach Vastu-Vidya gebauten Gebäude ist der Norden etwas offener als der Süden, um kühlende Lebenskraft zu akkumulieren. Auf dieselbe Weise schafft ein schwerer Westen gegen einen leichten Osten ein profitables Arbeits- und ein angenehmes Wohnklima.
Lebendige Energiekörper
Wenn sich Architekten heutzutage ein Entwurf von innen ausdenken mögen, um die Kosten möglichst gering zu halten, und dabei den Ausdruck eines Gebäudes nach Außen weniger betonen, bietet Vastu im Gegensatz dazu den Ansatz, jede räumliche Einteilung als einen eigenen und einzigartigen Energiekörper zu betrachten – sogar als ein lebendiges Wesen, der Vastu-Purusha.
Bei der Gestaltung nach Vastu werden etliche Faktoren mit einbezogen, um die Qualität der feinenergetischen Schwingungen zu erhöhen, um eine Symphonie aus Materie und einem göttlich klingenden Raum zu schaffen. Solche Faktoren sind z.B.: Art des Baumaterials, Platzierung des Gebäudes auf dem Grundstück, Gefälle des Grundstücks, Wasservorkommen, Maße von Mauren, Wänden, Türen, Fenstern und deren Verhältnisse zueinander, harmonische Gliederung der Bauelemente, Nutzung von Räumen und Himmelsrichtungen, Ruhe- und Aktivitätszonen, Farblehre und die individuellen Richtungen der Bewohner.
Einige Grundlagen von Vastu sind allgemein, andere sind personalisiert und vom jeweiligen Geburtstag und Ort der Bewohner abzuleiten. So hat jeder vier der acht Himmelsrichtungen, die für ihn geeigneter sind als die anderen. Nach diesen individuellen Himmelsrichtungen kann beispielsweise der optimale Schlaf- und Arbeitsplatz für jeden Bewohner einer Wohnung und eines Hauses bestimmt werden.
Die explosive Küche
Glück hat derjenige mit einer Küche im Südosten (kommt selten vor), mit Schlafzimmer im Südwesten und Wohnzimmer bzw. Büro oder Meditationsraum im Nordosten. Die moderne Wohnküche wird in der Vastu-Wissenschaft nicht empfohlen, da die Kombination Küche und Gäste- / Durchgangszone explosiv werden kann.
Hier eine kleine Anekdote: Wir hatten kürzlich Besuch von Verwandten aus Dänemark, die aus „hilfsbereitem Eifer“ unsere Küche schlicht vereinnahmten, um mich und meinen Mann zu bekochen. Dabei hatte ich schon geplant, die Verwandten mit meinen Kochkünsten zu verwöhnen. Als ich dann entdecke, dass die Gäste auch noch Tomaten eingekauft hatten, obwohl im Küchengarten dutzende reife Tomatenpflanzen vorzufinden waren, erreichte unsere Kommunikation ein lautes Crescendo. Der Küchendienst wurde nun nach meinen Vorgaben aufgeteilt unsere Verwandtschaft konnte ihren entspannten Urlaub anschließend in vollen Zügen genießen.
Die Tattvas
Interessant ist auch der Aspekt der Tattvas, der feinstofflichen Elemente. Mit vastu-gerechter Architektur und Einrichtung geschieht im Haus eine Form von Tattva-Shuddhi – eine Reinigung und Kalibrieren der Elemente. Bei uns hat dies u.a. zu stark reduzierten Heizkosten geführt. Es hat auch eine Sensibilisierung gegenüber der Natur mit sich gebracht. Unsere Küchen- und Erholungsgärten haben sich als große Lehrmeister erwiesen. Man beobachtet die Natur, hört ihr zu und sieht, wie sie fast mit Vergnügen gedeiht.
In unseren Yoga Retreats beziehen wir zunehmend die Wirkung der Elemente mit ein:
HITZESOMMER, Agni – Prozesse initiieren
BADETEICH, Apas – emotionaler Wellengang
WiND, BRISE, Vogelgezwitscher, Insektensummen, Vayu – reger Austausch
SICH ERDEN, Prthitvi, – Jäten im Kräuterbeet
RÄUME SCHÖPFEN, Akasha – Meditation, Raum einnehmen, anderen Raum gewähren
Erstaunlich ist, wie viel Kraft einem dieses Bewusstwerden gibt. Ich sehe Vastu als ein essenzielles Mittel, um Menschen und Natur zu verbinden und Visionen zu schöpfen. Wohnen und leben im Einklang mit Vastu und den Tattvas ist eine ausgezeichnete Grundlage für eine dynamische, ökologische und aufgeklärte Entwicklung einer Gesellschaft.
Schwingende lebendige Räume
Ein Gebäude, das nach dem Vastu-Wissen eingerichtet ist, steht im Einklang mit den Naturgesetzen und stellt für die Bewohner und Nutzer ein sehr harmonisches und optimiertes feinenergetisches Klima bereit. Der Raum schwingt so zu sagen mit den Bewohnern. Vastu kann in dem Sinne als der Yoga der Architektur und Wohnkunst betrachtet werden. Vastu wurde traditionell für den Bau und die Einrichtung indischer Tempelanlagen und anderer Bauwerke wie beispielweise Taj Mahal eingesetzt. Auch die Stadt Jaipur verkörpert heute noch Züge eines ursprünglichen Vastu-Designs.
Einfache Vastu-Prinzipien
Die nördlichen, nordöstlichen und östlichen Bereiche eines Raums sollten leicht und offen sein, sie sollten tiefer oder niedriger sein als ihre gegenüberliegenden Seiten. Wasser sollte in diesen Bereichen anwesend sein. Im Nordosten sollte diese Qualitäten aus ausgeprägtesten sein.
Die südlichen, südwestlichen und westlichen Sektoren müssen dagegen schwer, geschlossen und hoch gestaltet sein. In diesen Bereichen sollte Wasser vermieden bzw. mit Sorgfalt eingesetzt werden. Das Zentrum eines Raums ist am besten offen und frei gestaltet. Ein traditionelles Vastu-Gebaüde verfügt über einen offenen Lichthof im zentralen Bereich.
Darüber hinaus sollte bei der Gestaltung berücksichtigt werden, dass auch die Nordwest-Südostachse, und damit die Elementen bzw. die Tattvas Luft und Feuer, im Gleichgewicht sind und so einander fördern.